Nach Lüttich-Bastogne-Lüttich im letzten Jahr waren Steffen und ich ziemlich schnell einig das dieses Jahr auch wieder ein Monument auf dem Plan stehen muss.
Zur Auswahl standen also Flandernrunde, Lombardeirundfahrt oder Mailand-Sanremo. Nach LBL könnte man doch mal was “Schönes” machen. Am Ende fiel die Wahl auf Mailand-Sanremo.
Wer nun glaubt man kann sich da mal schnell nebenbei anmelden der irrt gewaltig. Die Meldeseite ist, wie soll man es formulieren … interessant. Man hat eher das Gefühl man meldet sich in einem Internetforum an.
Irgendwie haben wir auch die Meldung am Ende geschafft, jedoch mit einigen Fragezeichen. Wir müssen in Italien eine Tageslizenz für das Rennen nachweisen und ggf. erwerben. Dazu gab es erstmal keine Option die man hätte wählen können. Dann ist ein ärztliches Attest Voraussetzung in welchem uns ein Sportarzt bescheinigt, dass es bei uns keinerlei Bedenken aus ärztlicher Sicht gibt 300 Km auf dem Rad zu fahren. Man muss noch ein paar Dokumente wie Ausweis hochladen und ein Statement in dem man bestätigt nicht gedopt zu haben ect.
Steffen konnte sich bei seiner Hausärztin bereits davon überzeugen, dass nicht jeder Hausarzt mit gutem Gewissen ein ärztliches Attest ausstellt. ( Vermutlich schon weil es grundsätzlich Bedenken aus ärztlicher Sicht gibt 300 Km auf einem Rad zu fahren?)
Na gut ich habe da eine etwas verständigere Hausärztin, die mir und Steffen dieses Attest gern ausstellt, natürlich mit vorheriger Untersuchung. Die Untersuchung können wir also zwischen Weihnachten und Neujahr bei meiner Ärztin unterschrieben abholen. Danke an dieser Stelle an meine Hausärztin (um steigende Patientenzahlen dort zu vermeiden nenne ich keine Namen). Die Änderung auf dem Dokument von Sportmediziner/in in Allgemeinmediziner/in sollte am Ende keinen stören.
Nun ist die Frage wie bekommt man diese Unterlagen zum Veranstalter. Auf der Meldeseite gibt es einen Upload-Link über den man Dokumente hochladen kann. Dies tun wir aber ob die Dokumente angekommen sind weiß man nicht. Nach ein paar Wochen bekommen wir beide Emails mit der Aufforderung die Dokumente hochzuladen. Also schreibt nun Steffen eine Mail an den Veranstalter mit Anhang der Dokumente und dem Hinweis, dass wir diese bereits hochgeladen hätten. Irgendwie bekommen wir am Ende auch noch die Tageslizenz aber so richtig ein Standardablauf mit dem man zur sicheren Meldung kommt, könnte man das aber nicht nennen. Dieses Prozedere dauerte Wochen. Die Größe der Finisher Trikots sollen wir über eine Seite auf dem Portal angeben die nicht funktioniert. Alles irgendwie … naja italienisch… Aber auch das klappt … irgendwann.
So machen wir uns drei am 7.6.2019 gegen 5 Uhr auf den Weg nach Mailand (genau genommen Pieve Emanuele). Steffens Frau Mandy war zum Glück auch wieder mit von der Partie. Bei Radteams werden Mechaniker, Manager, Köche, Busfahrer und und und benötigt. Wir brauchen nur eine Person und das ist die gute Mandy.
Die Fahrt hin ist überwiegend ereignislos und vor allem eins… weit. Am Abend schauen wir nur noch wie wir am nächsten Tag nach Mailand kommen und suchen uns noch eine Pizzeria zum Abendessen.
Am Samstag konnten wir ab 10 Uhr die Startunterlagen abholen und die Transponder ausleihen. Das klappt alles unproblematisch. Über den Tag schauen wir uns noch etwas Mailand an. Dabei legen wir circa 20 Km zu Fuß zurück, was ich normal niemanden empfehlen würde der am Folgetag 300 Km Rad fahren will.
Am Sonntag geht es endlich los. Wir aßen jeder unseren Frühstücksbrei und tranken einen Kaffee.
Scharfer Start für die erste Gruppe war 7 Uhr. Wir waren 7:10 mit dem Start dran. Wir orientieren uns im Starterfeld erst einmal nicht weiter nach vorn und gruppieren uns in einer guten Gruppe ein. Nach 5 Km konnten wir einen Fahrer am Rand liegen sehen der im Startgedränge zu Sturz gekommen ist. Also ruhig und konzentriert bleiben. Das Tempo durch die Po Ebene ist recht hoch. Im Peloton muss man ständig konzentriert bleiben aber die Landschaft ist die ersten 100 Km doch recht trist. Nach zirka 70 bekam Steffen etwas Magenprobleme und wir lassen uns aus der Gruppe zurückfallen und fahren nun mit kleinerer Gruppe weiter. Nach 100 Km wird die Strecke langsam etwas abwechslungsreicher. Auf der Ausschreibung stand die erste Verpflegung bei 118 Km ausgeschrieben und wir bekommen langsam Sorgenfalten, dass wir den Punkt verpasst haben könnten. Zum Glück ist das Wetter etwas bewölkt und nicht zu warm. Ansonsten hätten wir bis zur ersten Verpflegung bei 125 Km ein Hydrationsproblem bekommen. Während der Pause kann ich die Nachricht von Mandy weitergeben, dass sie Sanremo erreicht hat und alles gut geklappt hat.
Wir sind die ersten aus der Gruppe die wieder aufs Rad steigen und fahren über den ersten Pass “Passo del Turchino”. Wir sind an dieser Stelle hauptsächlich alleine unterwegs. In der Abfahrt kam Steffen nicht an einem PKW vorbei uns so hatte ich unten kurz Zeit meine Saltsticks herauszusuchen. Nun haben wir das Mittelmeer erreicht. Der Blick und der Geruch des Meeres verleiht uns ein erhebendes Gefühl. Nun geht es “nur” noch 150 Km am Meer bis nach Sanremo. Dazwischen kommen immer wieder kleine Badeorte in denen man 2 Stauspuren hat. Eine in unserer und eine entgegen unserer Fahrtrichtung. Die Straßen sind meistens gerade so breit, dass diese beiden Spuren aneinander vorbei passen. Dazwischen müssen wir durch. Das ist ziemlich abenteuerlich für einen deutschen Radfahrer mit einem Sicherheitsgefühl ab 1,5 m Abstand zu den vorbeifahrenden Fahrzeugen. In Italien regt sich darüber jedoch auch niemand auf. Das ist anscheinend normal. Die Rollerfahrer machen das ständig. Bei Km 175 im Ort Varazze bin ich für einen Moment unkonzentriert und schaue mich kurz um, ob es Steffen auch geschafft hat die letzten Autos zu passieren. Der Autofahrer vor mir war nun der Meinung sehr abrupt bremsen zu müssen. So schnell kam ich dann nicht mehr zum stehen und bin mit dem Vorderrad an seinen Stoßfänger wodurch es mich über den Lenker seitlich vom Rad geworfen hat. Der Autofahrer war glücklicherweise nicht sonderlich aufgebracht ich war auch nicht sonderlich schnell. Ich versuchte ihm verständlich zu machen das alles OK ist, er mir, dass er am Zebrastreifen halten muss. Steffen hatte von der Aktion, wie er mir dann sagt, “einen 10 Sekunden andauernden Herzstillstand”. Am Schienenbein lief mir eine Blutspur herunter. Naja nicht so schlimm … Fahrrad ganz, Auto ganz und ich mit einer kleinen Schramme davon gekommen. Der Autofahrer fährt weiter ich klopfe mich kurz ab und weiter gehts. Der Schreck steckt mir noch etwas in den Knochen.
Kurz darauf gehts auf der improvisierten Mittelspur an dem PKW vorbei auf den ich aufgefahren bin.
Von diesen Badeorten gab es etliche, ich bin etwas gewarnt durch den Sturz und wir tun uns immer mit 2-3 Fahrern zusammen. Diese auf den Geraden unheimlich schnell sind aber sobald ein Anstieg kommt werden diese extrem langsam. Am Cipressa Berg ist dann endgültig Schluss und wir fahren ab dort alleine weiter. Ab und zu holen wir einen Fahrer ein oder uns überholt einer . Der letzte Anstieg geht nach Poggio hoch. Auf der Strecke konnten wir einige Fahrer sehen die schon völlig am Ende ihrer Kräfte waren. Ich kann Steffen nochmal wiederbeleben indem ich ihm ein Gelchip gebe und wir kommen auch noch den letzten Anstieg gut hoch.
Schussfahrt nach Sanremo … Steffen will mich losschicken, dass ich ggf. noch die 10 h schaffe. Ich hab das schon durch-kalkuliert und bin mir sicher, wir schaffen das auch gemeinsam. Kurz darauf in der Abfahrt stehen Krankenwagen. Dort hat es mehrere Fahrer in der Abfahrt schwer gelegt … 5 Km vor dem Ziel. Das ist es nicht wert. Wir fahren gemeinsam durch Sanremo und über den Zielstrich 9h58 min. Geschafft. Mir gehts eigentlich verhältnismäßig gut. Das Hotel ist zum Glück gleich hinter der Ziellinie. Wir verladen die Räder ins Auto und duschen uns die Salzränder vom Körper. Wir essen noch die Mahlzeit die uns der Veranstalter im Ziel für Essenmarken zur Verfügung gestellt hat (Raviolli, Linsenbrei und für Steffen etwas fleischiges). abends gehen wir noch in Samremo Abendessen. So richtig großen Hunger haben Steffen und ich dort nicht aber eine große Backkartoffeln schaffen wir gerade noch.
Am Montag hatten wir noch komplett um uns Sanremo anzuschauen. Die Stadt ist interessant aber extra deswegen nach Ligurien würde und werde ich nicht fahren.
Am Dienstag machten wir uns dann nach Innsbruck auf, um nicht 1200 Km am Stück heim fahren zu müssen. Am Mittwoch ging es dann noch die restlichen knapp 600 Km nach Hause.
Mailand Sanremo ist in meinem Gefühl wesentlich mehr ein Straßenrennen als die anderen beiden bisherigen Monumente. Schon das Zeitlimit ist mit 12 h schon echt straff für Jedermannfahrer. Hat man einen Platten im falschen Moment und muss große Strecken alleine fahren wird das echt knapp. Bei Mailand Sanremo muss man ständig konzentriert bleiben, was nach 200 Km nicht einfacher wird. Ein schönes Rennen war es trotzdem. Aber so schnell werden wir vermutlich nicht wieder am Start von Mailand Sanremo stehen. Der Charakter des Rennens ist völlig etwas anderes als bei einem Ardennenklassiker oder Paris-Roubaix. An der Strecke stehen immer mal ein paar alte verrückte Radsportfans, die einen anfeuern. Dadurch das Mailand-Sanremo allerdings bei den Profis im Frühjahr gefahren wird fehlen natürlich die Fans an der Strecke wie bei Paris-Roubaix. Bei Mailand-Sanremo braucht man Mut zur Lücke sonst fährt man sehr viel alleine. Niemand wartet an roten Ampeln oder an einmündenden Nebenstraßen. Ggf. wird den Autofahrern mit der Hand gezeigt, dass die Vorfahrt in diesem Moment an den Radfahrer übergegangen ist. Warum auch immer… Italienischer Straßenverkehr ist verrückt.
Damit haben wir jetzt 3 von 5 Monumenten gefinisht und die Planung für den 4. läuft bereits.
Ein großer Dank geht an der Stelle nochmal an Mandy ohne die das Ganze SO garnicht möglich wäre.
Außerdem danke ich Steffen für die abgedrehten Ideen sowie für die ganze Planung und Organisation dieser Aktionen.
Schön, dass ich diesen “Verrückten” (im positiven Sinn) zu meinen Freunden zählen darf.