Vor zwei Jahren wollten Steffen und ich unser 4. Monument in Angriff nehmen. Wir waren bereits gemeldet und alles war vorbereitet, geplant und gebucht. Im gleichen Jahr war ich auch mit einer Woche Abstand für den Prag Halbmarathon gemeldet. Eine Erkältung hatte mich in der Vorbereitung etwas zurück geworfen und so hatte ich mein Training komplett auf die Flandern Rundfahrt konzentriert. Ein Halbmarathon geht auch notfalls mal aus der “Kalten”.
Dann kam Corona…
Erst wurde der Prag Halbmarathon abgesagt, dann auch ‘de ronde’.
Wir hätten 2020 im Herbst einen Ausweichtermin wahr nehmen können, haben uns damals aber dagegen entschieden, weil wir im Frühjahr auch das Profirennen mit erleben wollten. Leider gab es auch 2021 keine Möglichkeit das Rennen nachzuholen. Unsere Meldung von 2020 konnten wir ohne Aufpreis auf das Jahr 2022 übertragen. Das hat auch beim Prag Halbmarathon funktioniert nur leider waren nun beide Events nun am gleichen Tag. Aber Prag kann man im Zweifelsfall jedes Jahr laufen also hatte jetzt erst einmal Flandern Vorrang.
Nach Lüttich-Bastogne-Lüttich waren wir etwas enttäuscht, weil die Stimmung an der Strecke nicht mit Paris-Roubaix vergleichbar war und, weil die Region auch zum Teil so herunter gekommen ist. Das Rennen hat auch seinen Charme aber das war nicht das was wir erwartet hatten.
Am Freitag dem 1. April ging es also nach Antwerpen. Der erste Eindruck von Antwerpen war erstmal auch, dass alles sehr herunter gekommen ist aber im Gegensatz zu Lüttich betrifft das nur die äußeren Stadtteile.
Da wir schon 5 Uhr gestartet sind waren wir bereits 14:30 vor Ort. Für Antwerpen muss man speziell eine Einfahrtgenehmigung beantragen ansonsten muss man mit einem Bußgeld rechnen. Die Stadt hat am jeder Kreuzung Ampeln und Auto fahren macht echt keinen Spaß. Steffen hat die Möglichkeiten zum Parken vorab sondiert. Wir haben für die Tage das Auto komplett auf einem Parkplatz direkt an der Schelde abgestellt. Das war für die Tage mit 60€ noch vergleichsweise günstig. Von dort hatten wir ca. 1 km zur Jugendherberge. Die Räder haben wir im Auto mit an den Fahrradträger geschlossen und das Beste gehofft.
Am Samstag konnten wir ab 6 Uhr die Startunterlagen abholen. D.h. 5 Uhr aufstehen, Morgenhygiene, Hafenbrei und Kaffee ins System reinschieben.
Die Temperaturen waren für den Tag mit 2 Grad morgens bis maximal 6 Grad gemeldet. Also wurde doch die komplette Winterausstattung angezogen. Kurz nach 6 halten wir die Startunterlagen in den Händen und holen die Räder aus dem Auto. Startnummer befestigen und Licht ans Fahrrad. Der Veranstalter hat vorab gewarnt, dass die Polizei strenge Kontrollen durchführt.
Punkt 7 Uhr startet das Starterfeld mit Feuerwerksfontäne. Anfangs im Schritttempo dann etwas schneller. Wir kommen zum Waaslandtunnel der unter der Schelde durch geht und uns auf die andere Seite bringt. An der Einfahrt wird die strenge Beleuchtungskontrolle durchgeführt. Aber auch die Fahrer ohne Licht kommen irgendwie an den Kontrolleuren vorbei.
Das Tempo nimmt jetzt schlagartig zu und es formieren sich größere Verbände an denen es jetzt gilt dran zu bleiben. Bis Km 100 geht es einigermaßen flach und das Tempo ist hoch. Wir waren im Startfeld nicht ganz vorn deshalb ist nach einiger Findungszeit das Tempo bis zur ersten Verpflegung in der Gruppe machbar. Ab und zu lässt jemand vor uns eine Lücke reißen die man dann möglichst schnell wieder schließen muss. Bis zur Verpfegungstelle bei km 55 ist alles recht chaotisch. Diese lassen wir aus und fahren direkt weiter. Ich sehe 2 Fahrer vor uns und fahre mit Anstrengung an die beiden heran. Kurz darauf kommt ein Zug von hinten an den sich alle anschließen. Wir sind jetzt durch die fehlende Pause in eine Gruppe geraten die eigentlich wesentlich schneller unterwegs waren als wir. Das Tempo ist jetzt extrem hart. Jeder Kurve erzeugt einen Ziehharmonika Effekt, den es gilt wieder auszugleichen. Wir gehen wider der Vernunft das Tempo mit und immer wieder lassen andere Fahrer Lücken auf gehen, die ich immer wieder zu fahre. Trotz der Temperaturen um die null Grad schwitze ich unter den warmen Sachen. Das hohe Tempo und die verwinkelten Straßen lassen kaum mal einen Griff zur Flasche zu. Mir gelingt es nur schwer ein Gel zu essen. Bei 90 Km reist mal wieder eine Lücke auf die ich zwar schließen kann aber die nächste Attacke zieht mir daraufhin völlig den Stecker und ich fahre mit Steffen bis zur Verpflegung allein. Dort verpflege ich mich kurz und trinke etwas. Wir haben zu dem Zeitpunkt einen Schnitt von über 30 Km/h. Ich teile Steffen mit, dass ich das Tempo nicht weiter fahren kann. Wir fahren los und Steffen tritt direkt wieder in die Pedale. Ich hab Probleme dran zu bleiben Steffen hängt sich an nun auch noch an eine Gruppe die vorbei zieht und ich entscheide langsamer zu machen. Ich muss langsamer machen. Wir haben noch 160 Km vor uns. Steffen hat einen Fahrer vor uns für mich gehalten und ist deswegen gefahren wie der Teufel, wie er mir später erzählt.
Die nächsten 45 Km kann ich an keiner Gruppe länger mitfahren und kämpfe mich alleine gehen den Wind. Auch die Anstiege fallen mir schwer. Ich verlasse mich darauf, dass wenn ich etwas langsamer fahre ich mich wie üblich wieder erhole. Aber der Effekt stellt sich an dem Tag irgendwie nicht ein. Vor allem moralisch ist es zu diesem Zeitpunkt extrem schwer, weil mich nur noch Fahrer überholen da wir ja sicherlich 15 min vor unserer Leistungsklasse liegen. Allerdings habe ich endlich mal Zeit die schöne Landschaft zu bewundern. Die nächste Verpflegung ist in Geraaldsbergen. Ich fahre die “Muur” (de Geraaldsbergen) hoch und gelegentlich schneiden mich Radfahrer bevor sie eigentlich an mir vorbei sind und ich muss das Tempo rausnehmen damit ich nicht von ihnen abgeräumt werde. Das geht immer einher mit einer Beschwerde meinerseits. Am Ende der Muur wartet die kleine Kapelle, welche man als Fan aus dem Fernseher bereits kennt. Nach dem Gipfel bleiben nun auf einmal zig Radfahrer stehen um sich mit dieser auf einem Selfie zu verewigen, versperren dabei aber den Weg. Genug Platz wäre auf der Wiese für solche Aktionen aber na gut. Ein paar 100 m später ist die Verpflegungsstelle wo ich Steffen wieder treffe. Der wartet logischer Weise schon eine Weile und ich esse etwas trinke schnell etwas und wir fahren zusammen weiter.
Mir fällt das mitfahren weiterhin schwer und ich hab Probleme an Steffens Hinterrad zu bleiben. An nun kommen alle 32-35 Km Verpflegungsstellen. Die nächste ist bereits im Zielort Oudenaarde von dort sind es aber nochmal 75 km. Wir fahren auch dort nach kurzer Pause wieder los und nach ein paar Km kommt der Koppenberg ich kann Steffen nicht ganz folgen und ich kann die Lücke oben nicht schnell schließen, weil ein Auto vor mir herfährt. Dann stehe ich wieder alleine gehen den Wind. Steffen kann gemütlich in der Gruppe mitrollen ich komm mit aller Anstrengung kaum näher. Ich entscheide wieder mein Tempo weiter zu fahren also wieder 25 Km alleine. Ich bin zu dem Zeitpunkt etwas frustriert, weil ich mich einfach nicht erholen kann und keinen ordentlich Druck aufbauen kann. Ich habe aber nie das Gefühl, dass ich es nicht schaffen werde. Die Strecke ist wirklich schön alles ist perfekt abgesichert und wir müssen kaum mal anhalten. Die Ordner an der Strecke halten augenblicklich die Autos an, sobald ein Radfahrer kommt. Die Anstiege haben kaum mal zweistellige Prozente aber das Kopfsteinpflaster über welches wir fahren müssen ist absolut umrhythmisch und wenn man schon etwas geschafft ist kämpft man an jedem Anstieg, damit man überhaupt noch ohne abzusteigen hoch kommt.
Ich komme voran auch wenn nicht gut. An der nächsten Verpflegungsstelle mache ich meinen Pulsgurt ab. Der hat irgendwie zu keinem Zeitpunkt Daten an mein Garmin Edge gesendet dem Problem auf die Spur zu gehen hatte ich allerdings auch keine Zeit. Nach kurzer Pause weiter. Ich habe das Gefühl danach bekomme ich augenblicklich besser Luft und ich kann auch in den Anstiegen wieder mitfahren ich überhole jetzt endlich wieder andere Fahrer. Es sind noch 35 Km und noch 5 Kopfsteinpflaster Rampen übrig. Man sieht jetzt immer öfters Fahrer die schieben. Die Blöße gebe ich mir natürlich nicht. Von nun an stehen an den Anstiegen auch immer mehr Zuschauer und feuern uns an. Am vorletzten Anstieg ist viel los und man hat Probleme an den langsamen Fahrern vorbei zu kommen ohne schnellere nicht zu behindern. Ich hänge noch kurz hinter einem Fahrer fest während Steffen an mir vorbei fährt, ich setze daraufhin direkt zum überholen an und fahre wieder an Steffen vorbei. Den Vorgang hat Steffen nicht mitbekommen und fährt gemütlich den Berg hoch in der Gewissheit er fährt noch vor mir. Ich fahre oben am Berg langsam weiter damit mich Steffen wieder einholen kann. Er kommt aber nicht. Am nächsten Abzweig warte ich gefühlt 5 min aber Steffen ist nicht unter den Fahrern die an mir vorbei fahren ich habe Zweifel ob Steffen mich doch irgendwo überholt hat und fahre dann weiter bald darauf kommt der Paterberg mit maximal 20,3% und dem ruppigen Kopfsteinpflaster für viele nicht mehr fahrbar ich drücke mich mit aller Kraft und meiner Kopfsteinerfahrung nach oben. Ich überlege wie ich weiter mache (warten, alleine ins Ziel?) und da kommt Steffen plötzlich wieder angefahren. Der hatte am vorherigen Anstieg direkt oben auf mich gewartet. Allerdings war ich da ja schon weiter. Ab jetzt geht’s eigentlich nur noch 12 Km flach mit viel Gegenwind und einige Strecken mit Windkante. Am Anfang fahre ich vorn im Wind mich überholt eine Gruppe. Das Tempo ist anfangs noch hoch aber der Führungsfahrer fährt sich nochmal richtig ins Loch und wird immer langsamer. Am Ende fällt er ganz zurück und wir fahren wieder vorn. Wir kommen irgendwann auf die Zielgerade. Man sieht schon aus 1,5 km das Ziel. Leicht ansteigend gegen den Wind. Nach ca. 10h 40 min erreichen wir das Ziel.
Wir machen ein paar Erinnerungsfotos und fahren auf dem Markt dort ist ein DJ auf einer Bühne der laute Disko Musik macht. Wir wollen uns nicht lange aufhalten, weil es kalt wird. Ein paar Fotos und weiter. Wir fahren einem Wegweiser hinterher “Qubus”. Das hat nichts mit einem Bus zu tun wie wir vermuten, sonder ist ein kubisches Gebäude das so heißt. Dort ist, wie wir feststellen, dass eigentliche Ziel. Wir haben die GPS Geräte schon seit 5 Km gestoppt. Dort ist ein Areal aufgebaut für Verpflegung, Fahrrad Abstellmöglichkeiten, Medaillenausgabe, Fan Shop, Bier und Pommesstände und ein riesiges Bierzelt. Das wurde aber nur für das Jedermannrennen aufgebaut. Das Profirennen kommt dort gar nicht vorbei. Wir holen unser deponiertes Gepäck und ziehen uns um. Danach haben wir uns ein paar belgische Fritten geholt und diese verspeist. Wir machen zum Shuttlebus nach Antwerpen und lassen unsere Räder einladen. Kurz nach 20 Uhr geht’s los und wir sind ca. 21:45 Uhr in Antwerpen. Organisatorisch ist das ein perfektes Event. Wirklich alles hat perfekt funktioniert. Von der Startnummernausgabe, der Verpflegung, der Streckenführung über die Streckenabsperrung und den Rücktransfer. So muss das sein.
Am Abend gibts nur noch ein belgisches Piraat Bier (für uns zwei Bergpiraten von Mandy organisiert) und was Kleines zu essen. Gegen 23 Uhr fallen wir ins Bett, was für ein langer Tag.
Am nächsten Tag schauen wir uns die Team Präsentation von den Profiteams an und verfolgen den Start des Rennens. Dabei ist die Hölle los in Antwerpen. Danach wird es still. Vermutlich sind die meisten Fans an die Strecke oder zum Ziel gefahren. Wir schauen uns über den Tag die Stadt an und verfolgen die letzten 20 km auf dem Handy im Eurosport Player. Ich hab mit Matthieu van der Poel den richtigen Tipp für den Sieger an Vorabend abgegeben und wir wundern uns über Pogacar. Wenn man im Sprint alles Falsch macht wird man zweiter. Aber ohne was zu tun kann man sogar noch 4. werden. Da wird er sicher was gelernt haben. Schade für ihn, ansonsten war das ein starkes Rennen von ihm. Wir holen uns am Abend noch etwas zu essen und trinken im Hostel belgisches Bier dazu. Am Montag gings daraufhin heim.
Auch wenn ich einen schlechten Tag hatte und mir meiner sportlichen Leistung an für sich nicht zufrieden bin, war das wieder ein geniales Event. Organisation, Strecke und Stimmung sind auf jeden Fall immer eine Teilnahme Wert und ich empfehle jedem Radsportler das mal mit zu erleben. Mit dem Wetter hatten wir am Ende sogar noch Glück. Es hätte auch regnen können. Das man sich ein paar Grad mehr wünscht ist auch klar aber man kann sich das Wetter ja nicht raussuchen. Der Radsport ist in Belgien wie bei uns der Fußball. In der Hinsicht sind mir die Belgier auf jeden Fall sympathischer. Natürlich feiern die ihre eigenen Sportler und wenn ein Belgier das Rennen gewinnen würde, würden die total durchdrehen. Also noch mehr als so schon. Aber jeder Profi Radsportler ist für die Flamen ein Held ohne Ausnahme und jeder wird gefeiert. Das ist meiner Meinung nach eine schönere Fan Kultur als unsere Fußball Fan Kultur wo die Hälfte am Ende enttäuscht aus dem Stadion heim geht.
An der Strecke an markanten Stellen bauen die Belgier nur für den Tag riesige Festzelte auf und dort ist eine Stimmung wie bei einem Volksfest. Irgendwie haben es die Belgier mit elektrischer Musik. Selbst in der Stadt stehen mehr DJs am Mischpult als Straßenmusiker mit Instrumenten. Aber auch deutscher Partyschlager ist an der Strecke zu hören. Nicht jedermanns (auch nicht meiner) Geschmack aber das muss man mal mitmachen. Für uns steht jetzt schon fest, wir machen irgendwann einen Ausflug als Radsport Fans. Hauptsächlich, um an der Strecke mit dem verrückten Belgiern und Niederländern den Radsport zu feiern.
Jetzt fehlt mit der Lombardei Rundfahrt nur noch ein Monument in unserer Sammlung.
Am Ende muss ich immer einen riesigen Dank an Mandy und Steffen aussprechen. Ohne euch wär das alles so viel komplizierter. Vielen Vielen Dank