Bergpiraten erstürmen die Wartburg beim Flèche Allemagne

Ich habe meine Arme hinter meinem Kopf als Ablage verschränkt, dadurch sind meine Hände eingeschlafen. Mein Rücken schmerzt vom Liegen auf den kalten Fliesen. Ich mach die schweren Augen auf und stütze mich auf die noch tauben Hände, richte mich auf. Ich schaue etwas verdutzt auf die Uhr. Es ist der 1.Mai 2022 5:15 Uhr. Ich schaue mich um. Die Szenerie ist eine Sparkassenfiliale. Im rechten Teil sitzen 2 Typen den Kopf auf die Brust gesenkt mit Augen zu und einer liegt links von mir auf der Seite schlafend.
Wieso liege ich nicht in meinem Bett? Wer sind diese Typen um mich herum? Wie bin ich hier hergekommen?
So langsam beginnen die Zahnrädchen in meinem Kopf sich wieder zu bewegen…
Wir sind auf einer Mission. Wir wollten in 24h von “zu Hause” aus über Zeitz, Nordhausen, Göttingen und Mühlhausen nach Eisenach auf die Wartburg fahren. Wir sind gerade dabei das Flèche Allemagne zu absolvieren. Die Vagabunden um mich herum sind Tobias, Steffen und mein Bruder Gunter. Zusammen bilden wir das Bergpiraten Team
Während die anderen ihre Augen öffnen und so desorientiert schauen wie ich Momente vorher, überlege ich: “Wie sind wir eigentlich auf die Idee gekommen uns das anzutun?”
Ich meine mich zu erinnern…

Vor geraumer Zeit hatte Steffen mir beiläufig erzählt, dass das wegen Corona 2020 ausgefallene Flèche Allemagne in diesem Jahr nach 5 Jahren wieder stattfinden sollte. Ich hatte diese Erwähnung als Idee interpretiert, dass wir das ja mal wieder mitmachen könnte. (‘Steffen behauptet später das wäre nur ne Information gewesen und keine Absichtserklärung’) Also erzählte ich Tobias davon. Der hat gleich gesagt naja klar machen wir mit. Steffen, Tobias und ich, damit haben wir die Mindestanzahl für eine Gruppe. Nach Herumfragen wer noch so alles mitfahren würde, hatten wir nun noch meinen Bruder Gunter auf der Teilnehmerliste. Tobias und ich suchten unsere Route von 2020 heraus und passten diese etwas an und meldeten uns für das Flèche an. Der Tag des Starts rückte näher und trotz 200 Km Brevet und eine Dienstreise mit einigen Überstunden die Woche vorher war mir nicht bange, dass wir das durchstehen.
Nachdem ich meine Wechselsachen frühs bei Steffen ins Auto gepackt habe, fanden wir uns kurz vor 9 Uhr am 30.04.2022 vor meiner Wohnung in Limbach ein. Mario, der vor einer Woche ein Everesting erfolgreich beendet hat, hat sich entschieden uns bis in seine Heimatregion mit zu begleiten. Startort war die Tankstelle direkt vor meiner Haustür. Ich habe mir die Brevetkarten geschnappt und uns den ersten Stempel von der netten Dame hinter dem Schalter reindrücken lassen. Am Anfang sind wir natürlich erstmal eine ganze Weile durch uns bekanntes Terrain gefahren. Unser erster Checkpunkt lag in Zeitz bei circa 75 Km. Kurze Pause ein Käsebrot, einen Kaffee, Stempel und Fragen der Kassierer beantworten. Weiter gings durch Weißenfels dann am Geiseltalsee vorbei. Nächste Stempelstelle war Wimmelburg. Zuvor haben wir uns nach kurzer Rücksprache entschieden kurz auf einen Trödelmarkt zu gehen und dort eine kleine Pause zu machen. Mario hat uns dann in Eisleben verlassen und ist Richtung Heimat abgebogen. In Wimmelburg wieder gleiches Spiel wie in Zeitz … Stempel holen, Fragen zur Aktion beantworten, Kaffee und Brötchen essen, weiter. Man hätte sich dieses mal auch für eine digitale Startkarte entscheiden können aber Stempel sammeln hat irgendwie doch mehr Charme. Die Gespräche mit den Leuten würden komplett ausfallen also haben wir uns wieder für die traditionelle Variante entschieden.
Weiter ging es nach Nordhausen. Wir holen uns im Supermarkt erstmal noch schnell vor Ladenschluss etwas zu Essen für die Nacht und füllen unsere Flaschen. Wir bereiten uns für die Nacht vor indem wir Licht und Kleidung dafür anpassen. Dann holten wir uns wieder an der Tanke die Stempel und Kaffeeeee.
Die Ecke in Nordthüringen ist komisch. Dort fahren ein Haufen getunte Autos. Irgendwie hängen die Jungs dort noch in den 2000ter Jahren fest. Auch das Verhalten der Leute dort gegenüber Radfahren ist doch eher fragwürdig. So hat uns dort ein Motorradfahrer mit Pedalieren nachgeäfft, um sich über uns lustig zu machen. Komisches Volk. Das hört plötzlich auf als wir nach Hessen kommen. Die Straßen werden besser, es gibt mehr Radwege und die Autos überholen auf einmal mit wesentlich mehr Abstand.
Weiter gings nach Göttingen. Dort war es bereits um 1 Uhr. An der Tankestelle die wir zur Kontrolle ausgewählt hatten war in der reichlichen Stunde nicht ein Auto zum Tanken aber etliche Partygänger die in eine Diskothek gehen wollten, die gegenüber auf der Straße liegt. Gegen Ende unseres Aufenthalts kommt dann noch eine Gruppe Radfahrer an, welche auch das Flèche fahren. 100 Km von Eisenach weg hätte ich das irgendwie nicht erwartet. Als wir wieder Starten haben wir noch circa 70 Km bis zur 7 Uhr Kontrolle (die wir nicht vor 7 Uhr passieren dürfen) und noch 5 h Zeit. Gunter ist sich sicher in Dingelstädt gibt es eine Sparkasse und wir steuern diese an, um noch etwas Zeit rum zu bringen bevor wir uns nach Mühlhausen auf machen.

Dort sind wir nun und lungern in der Sparkasse herum, um etwas geschützt vor der Kälte zu sein, bevor wir das letzte Stück nach Eisenach fahren. Wir rappeln uns langsam alle auf und ich esse eins meiner Käsebrötchen und eine Banane die ich mir in Nordhausen geholt habe. Danach gehts nach Mühlhausen. In der Tanke sitzt schon eine Gruppe Flèche Fahrer aus Berlin. D.h. wir müssen die Zeit auch abwarten (es gibt ja Zeugen). Unser letztes Stück ist jetzt nochmal 43 Km lang. Dafür haben wir 2 h Zeit und das Terrain wird nochmal richtig hügelig. Nicht ganz perfekt. Ich hab bis dorthin meinen Metabolismus immer in der Fettverbrennung gehalten und brauchte dadurch auch nicht viel essen. Ab jetzt sind nochmal 2 h Vollgas angesagt. Tobias hatte die Strecke mit Brouter geplant. Das ist für Gravel meiner Meinung nach echt gut aber für die Straße finde ich Koomot besser. Auf dem letzten Stück müssen wir erst über den Hainich und die Streckenplanung schickt uns im Gegensatz zu allen anderen die dort entlangkommen nochmal Richtung Hainich hoch, mit mehr Km und mehr Höhenmetern. Wir kommen aber alle ganz gut mit dem jetzt harten Tempo mit und feuern bis nach Eisenach. Uns bleiben noch 20 min als wir unten in Eisenach sind. Ich hab etwas bedenken, das wir es rechtzeig schaffen und ich geb ordentlich Gas. Dann kommt noch eine Baustelle in Eisenach und danach gehts in den Anstieg. Volles Ballett fahren wir hoch und kommen 10 min vor 9 Uhr an den Endkontrolle an. Auf dem Stück sind Gunter und ich von allen Fahrern die bei Strava sind an dem Tag die Schnellsten. Oben angekommen gebe ich die Startkarten ab und bekomme dafür die Finisher Medaille und die Essen-/Getränkemarken für uns ausgehändigt.
Danach fahren wir nochmal hoch zur Wartburg für ein paar Fotos und dann zum Sportplatz wo sich alle Fahrer nochmal treffen konnten. Mandy kommt auch gerade mit dem Auto an als wir zum Sportplatz gekommen sind. Wir reden hier und da noch beim Bier mit Bekannten aus der sächsischen Brevetszene aber auch mit anderen Teams, die wir zum ersten mal sehen. Währenddessen kommt auch Romy, um Gunter abzuholen mit den Kindern.
Danach packen wir alle zusammen und nach der kurzen euphorischen Quatschzeit im Auto ist nach etwas Zeit auf einmal Ruhe. Steffen, Tobi und ich pennen im Auto während Mandy uns heim fährt. Das gleiche Spiel im Auto meines Bruders, wie mir später berichtet wird.
Am Ende sind solche Aktionen immer die Anstrengungen wert. Das Flèche durch die vielen Startorte die sich am Ende auf der Wartburg treffen wieder ein super Event gewesen. Man sieht viele alte Bekannte wieder und lernt auch neue kennen. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt so “richtige” Probleme und unsere Gruppe hat gut funktioniert. Wir hatten keinerlei technische Probleme und das Wetter war uns auch hold. Viel besser kann so eine Fahrt nicht laufen. Gunter hatte vom 200 Km Brevet die Woche vorher ein dickes Knie gehabt. Nicht mal das hat größere Probleme gemacht. Großer Dank geht an der Stelle wieder an Mandy und Romy die uns vor Ort abgeholt haben. Wir waren sehr glücklich nicht noch im Zug, um ein paar Fahrradplätze kämpfen zu müssen. Danke auch an den ARA Allemagne für die Veranstaltung des Flèche nach 5 Jahren der Pause. Falls jemand fragt warum wir das tun… Wir haben uns das auch unterwegs gefragt und die Antwort gefunden: “Weil wir es können!!!”.

Merci, Bonne Route et Bonne courage jusqu’à la prochaine flèche

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Berichte von Michael Gasch. Permanenter Link des Eintrags.

Über Michael Gasch

Ich bin an einem Maitag imJahre 1984 geboren und habe seitdem laufen, lesen, schreiben, rechnen, ... und unter anderem auch radfahren gelernt. Das macht mir in allen seinen Ausführungen Spaß. Ob auf Rennrad, Mountainbike oder Randonneur ist dabei egal hauptsache der Vortrieb stimmt. Ansonsten halte ich mich für nen netten Typ und habe immer zu wenig Zeit aber wem geht das nicht so.