BRM 400 Sachsen 2021 Solo

Seit langem schreibe ich nun mal wieder einen Bericht zu einem “Event”. Warum eigentlich? Dieser Brevet des Randonneurs Mondeux (frei übersetzt Prüfung der weltweiten Radwanderer) war für mich auch wieder einmal etwas Neues.
Am Wochenende vom 17. und 18. Juli standen 2 Aktionen im Vorlauf. Mein Bruder wollte Thüringen “erfahren”, hat diesen Plan aber aufgrund der sich angedeuteten Wetterlage verworfen. Nagut ich hab ja noch einen Startplatz bei der BikeExpressChallenge.
Ein paar Tage vor dem Start kam dann aber von irgend einem Vogel(-liebhaber) eine Anzeige an das Umweltamt … ihr kennt die Geschichte… Absage.
Also was tun mit der nicht vorhanden Form und dem Wunsch nach einer Herausforderung.
Durch die Corona Pandemie haben die RM (Randonneurs Mondieux) die Brevet Regeln angepasst. Dabei wurde einem jetzt ein Zeitfenster für das absolvieren gegeben und man darf den Brevet an einer beliebigen Stelle der Strecke beginnen.
Der 300 Km Brevet geht von Wurzen aus nach Norden liegt also nicht im Bereich meines Wohnorts. Der 400 Km Brevet liegt aber mit Glauchau nicht so weit weg von Limbach-O. und außerdem hätte ich dann auch ein bisschen Thüringen erfahren.
Ich hab dann noch etwas versucht Mitstreiter zu finden aber es hat auch niemand gleich HIER gerufen. “Nagut notfalls fahr ich das halt alleine”, denke ich.
Das Wetter wieso wir nicht “Thüringen Erfahren” wollten war ja immernoch das Gleiche. Aber am Samstag abend sollte es ja aufhören und Sonntag komplett trocken werden. Also plane ich mit einem Zeitfenster vom Start zwischen 16 Uhr und 19 Uhr. Eben wenn es aufgehört hat zu regnen.
Man kann ja im Notfall “jederzeit” in den Zug steigen. Mich hat jetzt nur noch ein Thema umgetrieben. Mich hatte es ja vor 4 Wochen ganz schön mit dem Fahrrad hin gelegt, was wenn ich mal liegen bleibe?
Die Tracking App die ich bei Paris Brest Paris Brest verwendet habe wollte ich verwendet damit mich im Notfall jemand findet. Dieses System wurde zuletzt neu aufgesetzt und ich brauchte ein neues Benutzerkonto und eine neue App okay der Rest war identisch das wird schon irgendwie klappen.

Ich hatte das Wetterradar über den Tag genau verfolgt und sah eine kleine Chance 17 Uhr vor dem nächsten Schauer nach Norden dem Regengebiet ausweichen zu können.
17:17 Uhr machte ich ein Nachweisfoto zum Startzeitpunkt und Ort und fuhr auf der noch nassen Straße Richtung Norden. In Burgstädt fing es an zu regnen.
Mein Plan hat also nicht geklappt ich stelle mich kurz unter und schaue wieder auf das Wetterradar. Wenn ich jetzt da stehen bleibe regnet es für die nächsten 2 Stunden weiter. Ich ziehe meine Regenkleidung an und fahre im Starkregen weiter.
Die Entscheidung war zum Glück die Richtige. In Rochlitz hat es bereits aufgehört zu regnen und ich kann meine Regenklamotten ausziehen. Die Füße sind zwar nass aber die trocknen auch wieder und jetzt bin ich sicher vor weiteren Regengüssen
In Colditz sende ich ein Foto meiner Familie und bekomme prompt die Meldung, dass die Tracking App nicht funktioniert. Ich spiele etwas mit den Einstellungen drücke update und mein Bruder meldet “jetzt sehe ich dich”.
Mein erster Checkpunkt ist in Oschatz. Selfie statt Stempel wegen der Kontaktreduktion. In Oschatz mache ich an der Tankstelle eine kleine Pause. Getrunken habe ich noch nicht sehr viel aber eine Flasche ist nach den 90 Km alle. 1l Cola für mich und 0,5 Wasser für die Flasche. Ich esse ein halbes meiner 4 Käsebrötchen. Weiter geht’s nach Bennewitz zum eigentlichen Startpunkt der Brevets.
Selfie am Rathaus mit der Uhr. Auf dem Weg dahin schaue ich auf die Website ob meine Tracking App meine Streckenverlauf anzeigt. Mist Fehlanzeige. Ich drücke den Update Button der App nach etwas Zeit erscheint auf der Karte ein Punkt.
Tobias der mich sonst eigentlich immer bei den Brevets dabei ist meldet auch irgendwann, dass die Tracking App aber selten Punkte macht. Ich hab es inzwischen aufgegeben. Im Sturzfall müsste ja wenigstens mein Garmin Edge meinen Standort senden. In Bennewitz ziehe ich meine Warnweste an (natürlich die Gute vom PBP), für die Beinlinge finde ich es noch zu warm. Als nächstes benötige ich ein Foto vom Ortseingangsschild in Weißenfels. Licht an und auf geht’s.
Ich fülle mich nach wie vor sehr gut. Ich fahre nun gegen den Wind immer auf dem Auflieger. 65 Km rechne ich im Kopf 2,5 -3 h. Die Strecke ist an der Stelle sehr flach und ich komme gut voran.
Als ich das erste Auto mit Weissenfelder Kennzeichen WSF sehe denke ich “What Se Fuck?” und muss darüber schmunzeln. Ich habe noch keine Probleme mit der Müdigkeit aber ich muss konzentriert bleiben. In der Dunkelheit fällt es inzwischen schwer auf jedes Schlagloch zu achten.
Der Halbmond am Himmel geht langsam unter und wird zum Bluthalbmond. In der Ferne stehen daneben hunderte Windräder die bei Nacht rot im Gleichtakt blinken. Das sieht in der Nacht eher nach maschineller Dystopie aus als nach energetischer Zukunft und ich kann ein wenig verstehen wieso der ein oder andere solche Windparks nicht am Horizont haben will.
1 Uhr bin ich am Ortseingangsschild in Weißenfels. Mir fehlt mein Brevetheft in meinem Umhängebeutel befindet sich nur die Roadmap, welche mir mitteilt, dass es jetzt nach Bad Sulza gehen soll.
Normalerweise würde ich mir an der Tankstelle jetzt einen Stempel geben lassen. So bestelle ich mir am Nachtschalter nur eine Cola und lasse mir den Toilettenschlüssel aushändigen. Dort fülle ich meine Wasserflaschen auf und wasche mir den komischen Film vom Gesicht und den Armen der sich durch die hohe Luftfeuchtigkeit auf alles gelegt hat.
Nach einer kurzen Pause auf einer Bank gleich neben der Tanke geht’s weiter. Ich freue mich, dass ich durch die sternenklare Nacht fahre und die Sterne, Planeten und sogar die Milchstraße sehen kann. Ortseingangsselfie Bad Sulza und weiter. Das Wasser hat einen komischen Beigeschmack etwas Besseres gibts aber für die nächsten 100 Km nicht.
Ich hab jetzt etwa 200 Km absolviert. Mir gehts aber immernoch ganz gut. Der nächste Checkpunkt ist nun erst bei 305 Km in Hütten. Ich erinnere mich an diese Häuseransammlung auf irgend einer Höhe an der wir eine Hausnummer ablesen sollten. Der Weg dahin ist aber jetzt gerade eine Unendlichkeit enfernt. Ich muss jetzt anfangen meine Distanzen in Teilstücke zu zerlegen.
Ich folge dem Orignaltrack, der, der einen auf Paris Brest vorbereiten soll, der einen aber auch an vielen Stellen sinnlos extra Km fahren lässt und das meistens mit vielen Höhenmetern.
Ab 250 Km fängt nun eine Sägezahnlandschaft an. Ich fahre einen Hügel hoch und sehe wie ich als nächstes wieder ins Tal fahre, um den nächsten Berg wieder hochfahren zu müssen. Einen moralischen Knick bekomme ich als einen Wegweiser “Apolda 12 Km” sehe den ich schon vor 15 Km an einer anderen Stelle gesehen habe.
Der Umweg hat sich sehr sinnlos angefühlt und damit muss man erstmal klar kommen. 5 Uhr als es so langsam hell geworden ist mache ich mal eine Pause an einer Bank in irgend einem Dorf.
Ich esse wieder ein Käsebrötchen und drück mir ein Espressogel rein. Dann fahre ich weiter. Weit komme ich nicht. Auf dem Weg nach Apolda merke ich wie mein Körper sich gegen jede Pedalumdrehung wehrt. Mein Magen ist jetzt mit Käsebrötchen beschäftigt.
Ich werde auf einmal unendlich müde. Es geht nun gefühlt endlos bergauf und meine Augen zieht es zu. Als ich eine Bushaltestelle mit einer Bank passiere entscheide ich mich einen Powernapp zu machen. Ich stelle meinen Wecker im Telefon auf 20 min und lege mich auf die Holzbank.
Jedes Auto was an der Bushaltstelle vorbei fährt ist so laut, als ob ein Güterzug direkt neben mir vorbei donnert. Aber ich ruhe etwas . Der Wecker klingelt ich stehe wieder auf und fahre weiter.
Es geht wieder besser. Es ist nun etwa 6 Uhr und ich bekomme eine noch nie zuvor da gewesene moralische Krise. Ich sehe ein Schild mit “Jena 6 Km” und denke daran was noch vor mir liegt. 9 h Rad fahren oder 20 min Jena, Zug und heim.
Ich habe für eine halbe Stunde den Glauben verloren, dass ich das an diesem Tag schaffe. Solche Gedanken kommen sonst eigentlich nie und wenn dann für Sekunden. Normal kann ich jetzt mal mit jemanden irgend etwas Belangloses quatschen oder wenigstens eine halbe Stunde mich im Windschatten verstecken bis es mir wieder besser geht. Oder wenigstens sehe ich noch jemanden der auch so leidet, dem es auch so geht wie mir.
Jetzt bin ich alleine mit mir und meinen Qualen ich verfluche die sinnlosen Höhenmeter.
Irgendwann rede ich mir aber ein, das wird schon wieder besser. Jedes Tief geht vorbei und die Beine werden auch wieder besser. Abbrechen geht auch immer 2 h später wenns wirklich nicht geht. Ich bin wieder im Brevet Modus ich werde das schaffen egal was kommt.
Dieser Punkt war tatsächlich die Schlüsselstelle, dadurch dass ich mich von dem moralischen Tief erholt habe.
Nicht das ich jetzt nicht mehr die elendigen Anstiege verfluche aber meckere mich Berg für Berg nach oben. Irgendwann komme in Hütten an und mache mein Foto. Der nächste Checkpunkt ist Pößneck.
Das sind lediglich 15 Km und ich bin ja auf einem Berg. Dementsprechend komme ich zügig bis dahin. Wieder Ortseingangsfoto und weiter zur Tankstelle. Ich schaue auf den Tacho 325 Km und schätze 115 Km bis nach Limbach.
Die nächste Distanz bis Glauchau zum Checkpunkt kalkuliere ich mit 90 Km. Ich trinke einen Kaffee (groß) einen Liter Cola und esse ausreichend. Die Wasser-Reserven fülle ich auch auf.
Ich konnte mich erinnern, dass es jetzt noch bergiger weiter ging. Das letzte mal wurde das Ganze aber vom Regen und der Nacht verhüllt. Es geht’s nach 2 Km direkt wieder in einen Anstieg. Bei 350 Km fahre ich gerade den Hankaberg hoch und denke das ist genau das was ich nach so einer Distanz gerade vermisst habe.
Aber ich komme voran. Nach der halben Distanz nach Glauchau muss ich nochmal eine kleine Pause einschieben und drücke mir noch 2 Gels nach. In welchen Dörfern ich mich befinde ist mir inzwischen egal. 5 Km und noch 5 ,dann sinds nur noch …
Ich fahre dem Strich auf meinem Radcomputer hinterher. Tobias hatte 2019 die Strecke etwas optimiert. Jetzt fahre ich den Track von Olaf. Wieder sinnlose Höhenmeter und Km, weil es über Werdau geht. Ich schimpfe wieder vor mich hin:”was verdammt noch mal will ich in Werdau?”.
Aber irgendwie komme ich auch dort durch und bin auch irgendwann in Glauchau. In Glauchau mache ich nochmal eine Pause. Jetzt kenne ich die Strecke aus dem Kopf da fällt es mir wieder leichter.
Es wird trotzdem nicht flach aber 25 Km ist ja jetzt ein Katzensprung. In Falken holt mich ein Radfahrer ein den ich an einer Raststelle sitzend überholt hatte und fragt ob er sich bei mir anhängen kann. Ich erkläre, dass ich schon paar Km in den Beinen hätte und er könne gern überholen. Er meint er hat auch schon 130 Km in den Beinen .
Ich formuliere:”naja ich bin jetzt bei 425Km”. Er hat Zeit und will nach Hartmannsdorf. Wir quatschen etwas über Räder. In Limbach kommt gerade Andreas (mein Brüderchen) entgegen und ich lass den Radfahrer ziehen. Andreas begleitet mich noch die letzten 2-3 Km nach Hause und macht das Abschlussfoto.
Geschafft.
Es ist schon ein erheblicher Unterschied ob man komplett alleine fährt oder zu zweit/Gruppe. Keiner lenkt einen in den schweren Momenten ab und man muss alleine aus dem Tief wieder raus kommen. Niemand gibt einen mal paar Km Windschatten. Keiner sagt einem “das wird schon wieder brauchst du ein Gel?”
Das war auf jeden Fall mal eine Erfahrung. Ich hab den Rest des Tages nur noch geschlafen, weil ich am Tag drauf wieder auf Dienstreise musste. Ich muss aber sagen ich habe die Tour ganz gut weggesteckt und zu großen Teilen auch genossen.
Natürlich bin ich die Tage noch gut müde auf den Gliedern aber es könnte schlimmer sein. Am Ende bin ich doch ganz glücklich über die Erfahrung und dass ich es geschafft habe. Das Durchfahren war dieses mal eine gewaltige Willensleitung. Zugegebenermaßen ein bisschen bekloppt ist das schon spontan einen 400 Km Brevet zu fahren. Am Ende bin ich mit 21h 30 min gut 2,5 h schneller als 2019 auf der “gleichen” Strecke und es ist damit sogar der schnellste 400 Km Brevet den ich je gefahren bin. Meiner Tracking App hatte wie ich jetzt herausgefunden habe die Berechtigung gefehlt den Standort im Hintergrund zu ermitteln. Das sollte beim nächsten mal besser klappen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Berichte von Michael Gasch. Permanenter Link des Eintrags.

Über Michael Gasch

Ich bin an einem Maitag imJahre 1984 geboren und habe seitdem laufen, lesen, schreiben, rechnen, ... und unter anderem auch radfahren gelernt. Das macht mir in allen seinen Ausführungen Spaß. Ob auf Rennrad, Mountainbike oder Randonneur ist dabei egal hauptsache der Vortrieb stimmt. Ansonsten halte ich mich für nen netten Typ und habe immer zu wenig Zeit aber wem geht das nicht so.